Der Menschenfeind

30. Mai 2013 in Wiesbaden

Internationale Maifestspiele 2013

Schweiz

Schauspielhaus Zürich

Deutsch von Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens
Inszenierung Barbara Frey
Falsche Anteilnahme, geheuchelte Gefühle, gelogenes Lob - der Menschenfeind Alceste hasst die Umgangsformen der oberen Zehntausend, denen er angehört. Indem er nur noch sagt und tut, was schonungslos der Wahrheit dient, macht er sich fortan unbeliebt bei Freund und Feind.
Molières Komödie von 1666 stellt die philosophisch zeitlose Frage, ob die Lüge nicht auch wesenhafter und vitaler Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens sei.
Alceste konstruiert sich eine Welt, in der nur lebensberechtigt ist, wer weder Verstellung noch Eitelkeit kennt. Leider steht seine Liebe zur schönen, jungen Witwe Célimène, von der er sich allzu bereitwillig korrumpieren lässt, zu dieser Philosophie im Gegensatz. Alcestes Traum von einer bedingungslos ehrlichen Welt ohne Kompromisse muss unerfüllt bleiben und entlarvt ihn in seinen überzogenen Ansprüchen als maßlos, lächerlich und unglaublich komisch.

Wie viel Wahrheit ist zumutbar bzw. erträglich? Die Frage, ob die Lüge nicht Makel, sondern wesenhafter Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens ist, wird bei Molière zum Stoff für eine Komödie. Der Autor selbst spielte 1666 bei der Uraufführung von 'Le Misanthrope' im Pariser Palais-Royal die Rolle des Alceste. Angesichts des starren Hofzeremoniells der damaligen Zeit, in dem Individualität wenig Raum hatte, hat Molières mutige Forderung nach bedingungsloser Offenheit viel Anstoß erregt. Dementsprechend begann der Erfolgszug seines 'Menschenfeinds' erst lange nach seinem Tod.
Barbara Frey lässt die Figuren ihrer ersten Molière-Inszenierung in einem heruntergekommenen Café stranden. Hier herrscht einerseits Alcestes Objekt der Begierde, Célimène, andererseits ein Steinway-Flügel, der womöglich auch schon bessere Tage gesehen hat, aus dem sich aber immer noch zuckersüße Melodien hervorzaubern lassen. Und so legt sich ein Klangteppich aus Satie, Chopin und Debussy über die leeren Rituale der Gesellschaft, die Alceste so abgrundtief hasst. Bis zur völligen Erschöpfung tobt der Querulant durchs Stück, prangert und klagt an und erhebt sich selbst zur Inkarnation eines vollkommenen moralischen Gesetzes.
Michael Maertens, der bei den Maifestspielen 2012 in der Titelrolle der 'Platonow'-Inszenierung von Barbara Frey glänzte, bewegt sich als Alceste immer am Rande des Wahnsinns. Er zeigt die Figur als extrem egoman und extrem verwundbar, ein moderner Wutbürger, der in seiner Kompromisslosigkeit weit über seine Ziele hinausschießt. Weder wird er an der Oberflächlichkeit seiner Zeitgenossen etwas ändern können, noch lässt er der Verbindung mit Célimène, die ihn eigentlich liebt, eine realistische Chance.
Ist es eine Komödie? Oder doch eher eine Tragödie? Alcestes Verlorenheit, die Vergeblichkeit seines Tuns legt diese Frage nah. Barbara Freys wunderbar leichte Inszenierung mit großem Tiefgang schafft beides. Ihre bis in die kleinste Nebenrolle großartigen Schauspieler liefern herrliche Kabinettstückchen eines absurden sozialen Miteinanders. Und über Michael Maertens' Alceste kann man lachen und weinen zugleich, man kann ihn lieben und hassen, bedauern oder auch verstehen. In jedem Fall aber wird man sich diesem in unendlich vielen Facetten glänzenden, faszinierenden Charakter nicht entziehen können.

Barbara Frey (Inszenierung), 1963 in Basel geboren, ist Regisseurin und seit 2009 Intendantin am Schauspielhaus Zürich. Sie studierte in Zürich Germanistik und Philosophie und kam 1988 als Musikerin und Regieassistentin ans Theater Basel unter der damaligen Leitung von Frank Baumbauer. Seit 1992 arbeitet Barbara Frey als Regisseurin. 1999 bis 2001 war sie Hausregisseurin an der Schaubühne am Lehniner Platz Berlin, 2005 bis 2008 in gleicher Funktion am Deutschen Theater Berlin. Sie inszenierte am Burgtheater Wien und bei den Salzburger Festspielen. 2004 erhielt ihre Inszenierung von 'Onkel Wanja' am Bayerischen Staatsschauspiel München eine Einladung zum Theatertreffen. Diese Inszenierung gastierte 2005 bei den Internationalen Maifestspielen. Am Schauspielhaus Zürich inszenierte Barbara Frey u.a. Ibsens 'John Gabriel Borkman' und 'Baumeister Solness', Schnitzlers 'Reigen', Schillers 'Maria Stuart', Shakespeares 'Was ihr wollt' sowie die Uraufführung von Lukas Bärfuss' 'Malaga'. Am Burgtheater Wien hatte im November 2011 ihre Inszenierung 'Der ideale Mann' von Oscar Wilde/Elfriede Jelinek Premiere, im April 2013 folgt dort 'Liliom' von Franz Molnár. 2012 war ihre Inszenierung 'Platonow' zu Gast bei den Internationalen Maifestspielen.

Quelle: kulturkurier / Kulturclub.de

Wo ist das Event?
Hessisches Staatstheater Wiesbaden
Christian-Zais-Straße 3
65189 Wiesbaden
Wann ist das Event?
Donnerstag, 30. Mai 2013
19:30 Uhr
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