Onkel Wanja

11. Mai 2014 in Wiesbaden

Internationale Maifestspiele 2014

Österreich

Von Anton Tschechow
Deutsch von Angela Schalenec und Arina Nestieva

Inszenierung Matthias Hartmann


Regisseur Matthias Hartmann gelingt mit seinem hochkarätigen Schauspieler-Ensemble ein kleines Theaterwunder: Dieser ‚Onkel Wanja‘ wirkt so frisch und ungewöhnlich, als hätte man das Stück noch nie gesehen. Hartmann stürzt sich mit viel Sinn für Humor auf die Bitterkeiten des Stücks – und heraus kommt eine hinreißende Melange, die zu Herzen geht und zugleich sehr komisch ist.

Ein Hauch von Großstadt und mondänem Leben kehrt auf dem Landgut ein, das Onkel Wanja gemeinsam mit seiner Nichte Sonja verwaltet: Professor Serebrjakow hat sich mit seiner jungen, attraktiven Frau Elena angesagt. Wanja hält den Professor für eine Koryphäe und schuftet selbstlos dafür, Serebrjakow von den Gewinnen des Gutes ein angenehmes Leben zu ermöglichen. Doch der erweist sich keineswegs als dankbar. Wie ein Gewitter an Selbstsucht, schlechter Laune und Altersstarrsinn bricht er in das beschauliche Leben ein, das Wanja und Sonja führen.

Serebrjakow ist ein grantelnder Altersnarr, der es sich leisten kann (und das auch genießt), andere zu quälen und zu schurigeln. Nicht einmal seine junge Frau ist davor gefeit, von ihm als Krückstock benutzt zu werden, bis sie unter ihm buchstäblich zusammenbricht. Caroline Peters ist als Elena immer kurz vor dem Nervenzusammenbruch: Eine Frau, die sich in der Partnerfrage ganz fürchterlich geirrt hat und nun einen hypochondrischen Greis aushalten muss, statt an der Seite eines berühmten Wissenschaftlers zu glänzen. Aber auch sie schlägt auf dem Landgut ein wie eine Bombe: Im knallroten Kleid mit lackschwarzen Highheels stöckelt sie zum Gartenstuhl und nimmt ein Buch zur Hand, in dem sie im Weiteren keine einzige Zeile lesen wird. Die Männer jedenfalls sind hingerissen.
Onkel Wanja (Nicholas Ofczarek) verliebt sich Hals über Kopf in Elena, und das traurig-komische Elend nimmt seinen Lauf. Der Kraftkerl schlingt sich einen Schal um den Hals, um wie ein Künstler auszusehen, und flirtet Elena leicht besoffen an. Sie entgegnet völlig unbeeindruckt: ,Sie machen mir eine Liebeserklärung und mir wird ganz stumpfsinnig zumute.‘ Ihr Interesse gilt vielmehr dem Arzt Astrow, den Michael Maertens mit einer schnöseligen Durchschnittlichkeit ausstattet. Doch Astrow ist keineswegs auf Romantik aus: Routiniert lädt er Elena gleich aufs Jagdhaus ein, was ihr ein wütendes Jaulen entlockt.

Astrow ist auch für die junge Sonja das Objekt ihrer Sehnsucht. Sarah Viktoria Frick spielt sie als ein patentes Pummelchen mit einem riesengroßen Herzen – Vorzüge, die jedoch auf Astrow keineswegs erotisierend wirken. Und als Sonja den Fehler begeht, Elena ihre Leidenschaft zu beichten, rächt diese sich aus Enttäuschung über Astrows Gleichgültigkeit grausam an ihr.

So tänzeln und torkeln Tschechows Figuren auf dem grünen Plastik-Kunstrasen, mit dem Stéphane Laimé die Bühne auslegte, ihren Leidenschaften und Sehnsüchten hinterher. Am Ende ist alles wieder so, wie es war: Serebrjakow und Elena reisen ab, Wanja und Sonja stürzen sich desillusioniert in die Arbeit.

Tschechow schrieb ‚Onkel Wanja‘ 1896. Die Uraufführung fand 1899 am berühmten Moskauer Künstlertheater in der Regie von Konstantin Sergejewitsch Stanislawski statt. Tschechow verdankte den Stanislawski-Inszenierungen seinen Weltruhm als Autor. Gleichwohl hat er sich immer gegen die gefühlige und pathetische Inszenierungsweise Stanislawskis gewandt. Schon 1902 schrieb er: ‚Sie sagen, Sie hätten über meine Theaterstücke geweint. Sie sind nicht der Einzige. Dazu habe ich sie aber nicht geschrieben. Stanislawski war es, der sie so rührselig gemacht hat. Ich wollte etwas ganz anderes. Ich wollte einfach und ehrlich sagen: Schaut euch an, seht doch, wie schlecht und langweilig ihr euer Leben führt! Was gibt es da zu weinen?‘

Die Inszenierung von Matthias Hartmann schält die tragikomischen Kollisionen zwischen Sehnsucht und Wirklichkeit heraus und hat gelegentlich sogar Züge einer gut geölten Boulevard-Komödie. Dabei geht die Komik jedoch nie auf Kosten der Figuren; sie entsteht aus ihrem verzweifelten Bemühen, doch noch einen Zipfel vom Glück zu erhaschen. Aber das Glück ist immer woanders.

Matthias Hartmann wurde 1963 in Osnabrück geboren. Ab 1985 arbeitete er als Regieassistent, u.a. am Berliner Schillertheater und am Theater Kiel. 1990 wurde er künstlerischer Leiter und Hausregisseur am Niedersächsischen Staatstheater in Hannover. Seine Inszenierung von Lessings ‚Emilia Galotti‘ wurde zum Berliner Theatertreffen eingeladen. 1993 wechselte er mit Eberhard Witt ans Bayerische Staatsschauspiel München, wo er bis 1999 Hausregisseur blieb. Er inszenierte am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg und am Burgtheater. Die zweite Einladung zum Theatertreffen erhielt er für seine Inszenierung ‚Der Kuss des Vergessens‘ von Botho Strauß 1998 am Zürcher Schauspielhaus. Von 2000 bis 2005 war Matthias Hartmann Intendant des Schauspielhauses Bochum, inszenierte u.a. Uraufführungen von Botho Strauß und Peter Turrini sowie die medial vielbeachtete Aufführung ‚Warten auf Godot‘ von Samuel Beckett mit Harald Schmidt als Lucky. Im September 2005 übernahm er die Intendanz des Schauspielhauses Zürich. Hier inszenierte er die Uraufführung von Botho Strauß’ ‚Nach der Liebe beginnt ihre Geschichte‘, Tschechows ‚Iwanow‘, ‚Othello‘ von Shakespeare, Heinrich von Kleists ‚Amphitryon‘, ‚Blackbird‘ von David Harrower, die Deutschsprachige Erstaufführung von Mark Ravenhills ‚pool (no water)‘, Molières ‚Tartuffe‘, Sophokles’ ‚Ödipus‘, die Uraufführung von Justine del Cortes ‚Sex‘, die Deutschsprachige Erstaufführung von Jon Fosses ‚Ich bin der Wind‘ und Thomas Bernhards ‚Immanuel Kant‘.

Seit September 2009 ist Matthias Hartmann Direktor des Burgtheaters. Zur Eröffnung seiner Intendanz inszenierte er Goethes ‚Faust – Der Tragödie erster und zweiter Teil‘. Es folgten u.a. ‚Phädra‘ von Jean Racine in Koproduktion mit den Salzburger Festspielen, ‚Was ihr wollt‘ von William Shakespeare, ‚Der Parasit‘ von Friedrich Schiller nach Louis-Benoît Picard, die Uraufführung von ‚Das blinde Geschehen‘ von Botho Strauß, ‚Krieg und Frieden‘ nach Leo Tolstoi (ausgezeichnet mit dem Nestroy Spezialpreis 2010), ‚Der zerbrochne Krug‘ von Kleist, ‚Eine Mittsommernachts-Sex-Komödie‘ von Woody Allen, das Antike-Projekt ‚Troja‘, die Uraufführung von ‚Schatten (Eurydike sagt)‘ von Elfriede Jelinek sowie ‚Die Ahnfrau‘ von Franz Grillparzer. 2013 inszenierte er als Koproduktion mit den Salzburger Festspielen Nestroys ,Der böse Geist Lumpazivagabundus‘.

Quelle: kulturkurier / Kulturclub.de

Wo ist das Event?
Hessisches Staatstheater Wiesbaden
Christian-Zais-Straße 3
65189 Wiesbaden
Wann ist das Event?
Sonntag, 11. Mai 2014
19:30 Uhr
Seit 3610 Tagen vorbei!

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