Das große Heft

26. Januar 2013 in Ingolstadt

von Ágota Kristófs
In Kriegszeiten. - Fast ein Märchen. Ein auswechselbarer Kriegsschauplatz, eine auswechselbare alte Frau mit diversen Marotten in einem kleinen Haus auf dem Lande, und dazu zwei Kinder, Zwillinge, die von ihrer Mutter aus einer beliebigen Stadt zu diesem beliebigen Dorf geschafft wurden, um dort als Enkel der Alten abgeliefert zu werden. "Ich werde Euch zeigen, wie man lebt", sagt die Großmutter, die alle nur "Hexe" nennen und tatsächlich passt kein Name besser. An ihren Enkeln zeigt sie keine Freude, hält sie zur Arbeit an und überlässt sie ansonsten sich selbst. "Hundesöhne" ist der Name, den sie ihnen gibt.

Schnell erfahren die Geschwister, was das für ein Leben ist, das es zu lernen gilt: ein Kampf um die Existenz, voller Misstrauen und Härte, ohne die leiseste Zuneigung. In dieser lieblosen Umgebung und in einer Gesellschaft im Kriegszustand entwickeln die Kinder Techniken der physischen Abhärtung und der emotionalen Abstumpfung. Sie üben sich in Gefühlskälte, sie betteln, stehlen und töten, weil "man es können muss". Ihre Erlebnisse und die Ergebnisse dieser Trainingseinheiten schreiben sie auf, wobei sie sich zu klarer, analytischer Sprache zwingen. Denn: Es ist nur zu bezeichnen, was ist, nicht, was man empfindet, fantasiert, spürt. Und so fallen Worte wie "Gefühl" und "Liebe" heraus aus dem Wortschatz der Kriegskinder. Sie sind zu vage, zu ungenau. In ihren autodidaktischen Schreibstunden gibt es nur ein Merkmal dafür, ob etwas "gut" oder "nicht gut" ist: Es muss wahr sein. So entstehen Aufsätze von erschreckender Sachlichkeit und entsetzlicher Präzision. So entsteht "Das große Heft" als Zeugnis der unvorstellbaren Verrohung, der emotionalen Verelendung von Kindern, die in kriegerischen Gesellschaften aufwachsen. Irgendwo tobt immer ein Krieg, und Ágota Kristófs Roman hat keine Chancen darauf, historisch oder unaktuell zu werden.

Keine Namen, keine Ortsbezeichnungen, keine Jahreszahlen finden sich in dem Roman Ágota Kristóf, die modellhaft das System von Gewalt zeichnet und mit "Das große Heft" (1984) einen der bedeutendsten Romane der neueren Literatur und ein grandioses Antikriegsbuch geschaffen hat. Mit "Der Beweis" und "Die dritte Lüge" ist es Teil einer Romantrilogie, für die Ágota Kristóf mit vielen Preisen, unter anderem dem Gottfried-Keller-Preis, ausgezeichnet wurde.

Quelle: kulturkurier / Kulturclub.de

Wo ist das Event?
Stadttheater Ingolstadt
Schloßlände 1
85049 Ingolstadt
Wann ist das Event?
Samstag, 26. Januar 2013
19:00 Uhr
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