Die Welt von gestern

Inge Keller liest Stefan Zweig.

Radikaler Pazifist, der er war, beendete der Europäer und Weltbürger Stefan Zweig im Februar 1942 in Petropolis (Brasilien) sein Leben, weil ihm, wie er schrieb, die "Zerstörung meiner geistigen Heimat Europa" keine andere Wahl ließ. In seinem autobiografischen Erinnerungsbuch Die Welt von gestern beschwört er noch einmal den Glanz der untergegangenen Welt des alten Europa, deren freiere geistige Humanität durch zwei Weltkriege gänzlich zerschlagen wurde, um nie mehr wiederzukehren, und deren Zerfall die persönliche Tragik seines Lebens bedeutete. Thomas Mann notierte: "Liest man sein großes Erinnerungsbuch, so begreift man ganz, wie sehr dieser so expansive wie zarte, ganz auf Frieden, Freundschaft, Liebe, freien geistigen Austausch gestellte Mensch heimatlich gebunden war an die entschwundene Welt, deren Endstunde schon 1914 geschlagen hatte, wie wenig es ihm zur Schande gereicht, daß er in der Welt voll Haßgeschrei, feindlicher Absperrung und brutalisierender Angst, die uns heute umgibt, nicht fortleben wollte und konnte."

Inge Keller, Grande Dame des Deutschen Theaters und des Berliner Ensembles, hat Stefan Zweigs Text vor langen Jahren zum ersten Mal öffentlich gelesen. Wie sehr sie die komplexe sprachliche Meisterschaft des Autors fesselt, wird jeder bestätigen, der in den Genuß kam oder kommt, ihr dabei zuzuhören. 1942 gab sie ihr Debut auf dem Theater und steht bis heute auf der Bühne, unnachgiebig und streng - streng im Denken, streng gegen sich selbst - geht sie den Dingen auf den Grund. Überaus präzise mit der Sprache agierend macht sie "den Genuß eines Kommas, die Überraschung eines Doppelpunktes, das Atemholen eines Gedankenstrichs" zum unvergeßlichen Erlebnis.

Quelle: kulturkurier / Kulturclub.de